Der Plan sah vor, im Frühjahr 2023 direkt wieder ins Studio zu gehen, bei dem alten Freund Paul Grau in Motril, Spanien. Noch euphorisiert von der gelungenen Herbst-Tour machten Gisbert zu Knyphausen, Moses Schneider und Tobias »der dünne Mann« Friedrich Nägel mit Köpfen und buchten, was zu buchen war. Einziges Problem: sie hatten keinen einzigen neuen Song. Aber man wächst an seinen Aufgaben, nicht wahr? Irgendwo in der untersten Schublade, hinter der Rolle Zwirn, dem Anspitzer und der Ballpumpe lag dann doch noch das ein oder andere Instrumental, ein halbes Lied, ausgeschwitzte Reime und drei angebissene Texte. Um Weihnachten herum kamen in einem klammen, kleinen Übungsraum noch diverse ganz neue Stücke hinzu.
Im Januar 23 traf sich die Husten-Delegation mit der Live-Ergänzungsmaschine Marcus Schneider (Gitarre), Ben Lauber (Schlagzeug) und Arne Augustin (Keyboard), um 15 oder 16 neue Lieder zu arrangieren. Obwohl Motril nicht mit Wärme und Sonne geizte, sahen sich am Ende der zwölftägigen Aufnahmen alle etwas verwundert an ob der Düsternis der Stücke. Wie sollte man das Konvolut sinnvoll auf einem Album anordnen? Also alles auf Schwarz. Von dunkel nach hell. Auf dem Weg kommt man aus dem dystopischen »Bis morgen, dann« an der Trauer von »Ja und ja« vorbei, schaut »Elli« dabei zu, wie sie unter die Armutsgrenze rutscht, bettelt »Lass mich bitte nicht in Ruh«, blickt auf »Die andere Seite der Angst«, sieht dem verblichenen Träumer Achim hinterher, tanzt »Nüchtern im Club«, stellt sich hinter dem »Flamingo Hotel« ein paar philosophische Fragen, erinnert sich an ferne Tage und »Weiße Tiger« und bittet die Welt um Vergebung, da der perfekte Song auch mit »Für immer und ewig« nicht gelungen ist. Am Ende erschien es nur logisch, das Album »Aus einem nachtlangen Jahr« zu nennen. Ladies and Gentlemen: Aus einem nachtlangen Jahr - wohin auch immer.
PS: Es passt sprichwörtlich ins Bild, dass die Berliner Künstlerin Tina Berning an wunderschöner Melancholie kaum zu überbietende Zeichnungen beisteuerte, für die Dunja Berndorff das perfekte Artwork fand.
So stülpt Aus einem nachtlangen Jahr das Innere nach außen, leuchtet die Dunkelheit mit einem Lichtstrahl aus, gerade so hell, dass die wohlige Schwermut nicht völlig verschreckt wird.​ Wäre auch schade drum.​
(VISIONS, Oktober 2023)
Das Schönste an diesem wundersamen Dreier ist, dass sich Gisbert zu Knyphausen, Moses Schneider und Tobias Friedrich zu Höchstleistungen anstacheln, ohne zu verkrampfen. Für die ersten EPs der Band gab’s noch ein anerkennendes Nicken unter Eingeweihten. Doch spätestens mit ihrem Debütalbum, „Aus allen Nähten“ (2022), und einigen fantastischen Konzerten im letzten Jahr haben Husten das Label „Nebenprojekt“ erfolgreich abgeschüttelt. Und jetzt schon ein Nachschlag auf Langspielplattenlänge? Ist das nicht zu früh? Erwartet uns da nicht ein lauer Aufguss aus Liegengebliebenem?
Beseelt, experimentierfreudig, melancholisch und mitreißend
Tatsächlich hatten Knyphausen und Co. keinen einzigen fertigen Song, als sie im Frühjahr ins Studio ihres Freundes Paul Grau im spanischen Motril gingen, um „Aus einem nachtlangen Jahr“ aufzunehmen. Das Ergebnis klingt jedoch so beseelt, experimentierfreudig, melancholisch und mitreißend, dass man den Glauben an unpeinliche Rockmusik für erwachsene Menschen zurückgewinnt. „Bis morgen dann“ steuert gleich mal auf ein apokalyptisches Szenario zu. Das Verschieben wichtiger Entscheidungen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag wird teuer. „Ich glaub, wir müssen zahlen, und wahrscheinlich nicht mit Geld, eher mit allem, was wir haben“, singt Knyphausen und packt eine Stimmlage aus, wie man sie von diesem Sänger noch nicht gehört hat. Das todtraurige „Ja & Ja“ zieht sich selbst aus dem Sumpf verblassenden Glücks. Bessere Zeiten hat auch „Elli“ gesehen, jetzt steht sie auf dem unteren Ende der sozialen Leiter.
Husten schenken ihr eine Hymne irgendwo zwischen Blur und Spoon. Im somnambulen „Auf der anderen Seite der Angst“ leuchten E-Gitarren-Töne wie Glühwürmchen durch die stockfinstere Nacht, und „Achim, du Träumer“ erinnert in seiner zerschossenen Glorie an den Träumer Jason Molina. Aber Husten-Musik ist keine spaßbefreite Zone. „Nüchtern im Club“ und „Für immer und ewig“ wehren die glitschige Hand der Larmoyanz am Ende mit Selbstironie und Spielfreude ab.
(MAX GÖSCHE, www.rollingstone.de, 29.09.2023)