Leidenschaftlich, anglophil, anachronistisch, maximalistisch und barock, »La Vita Nuova« wurde als eine Elegie der Begierde geschrieben. Nach ihrer Fertigstellung wurde sie zu einer Beschwörung. Aufrichtig und leidenschaftlich hat Maria McKee ganz einfach ein seligmachendes Erwachen erlebt, und in einem Crescendo der Prosa erschließt ihr neues Album »La Vita Nuova« diese Geschichte und skizziert eine bedeutsame und transformative Zeit in ihrem Leben, die vor Jahrzehnten begann, als sie in ihrem Wohnzimmer vorm Kamin mit ihrem älteren Bruder, dem verstorbenen, großen musikalischen Erneuerer Bryan MacLean, Mitbegründer der bahnbrechenden LA-Band Love, sang.
Auf dem Weg dorthin war sie Leadsängerin der bahnbrechenden Americana-Band Lone Justice, veröffentlichte eine Reihe stimmungsvoller und eklektischer Solo-Platten, schrieb Chart-Hits, die die Charts toppten, und inspirierte die Hingabe einer treuen kultischen Fangemeinde, bevor sie scheinbar verschwand. Ihr letztes Studioalbum »Late December« wurde 2007 veröffentlicht, seitdem sind dreizehn Jahre vergangen.
»La Vita Nuova« ist eine Hommage an Dantes Werk über die unerwiderte Liebe. Obwohl der unbewusste Impuls für die Entstehung dieses Albums darin bestand, den Schock einer der bisher größten persönlichen Herausforderungen für McKee, der Auflösung und Neuerfindung ihrer Ehe, zu verarbeiten, sind die Lieder progressiv und lyrisch dicht. Die Produktion ist orchestral und opernhaft und orientiert sich an McKees Lexikon der Ikonen - John Cale, Scott Walker und David Bowie. Es handelt sich also um ein Werk, das ein hohes Maß an Konzentration erfordert.
Man muss vielleicht mehr als einmal zuhören, um sich mit der konfessionellen Erzählung zu verbinden, die im Subtext gehalten wird, und um zu verstehen, dass die »Muse«, oder »Beatrice« des Albums innerhalb der Prosazeilen auch ein herzzerreißendes Phantom von McKees jüngerem, idealistischem Selbst ist. Und eine Metapher für die Jugend im Allgemeinen. Das spiegelt sich in den eindringlichen, kaskadenartigen melodischen Klängen der Joni Mitchell, die »I Should Have Looked Away« andeuten, und in der ergreifenden, nostalgischen Wehmut des Titels »Effigy of Salt« wider.
McKee ist inzwischen nach London umgezogen. Die Orchesterarrangements des Albums wurden von McKee komponiert und arrangiert, die keine formale klassische Ausbildung hat und keine einzige Note liest. Aber genau das ist die Natur der kreativen Katharsis, die im Allgemeinen mit einem eigenen Willen arbeitet.
Mehr als zehn Jahre ist es her, dass ich ein neues Studioalbum der schon früh als Lone Justice-Stimme beeindruckenden Sängerin und Songschöpferin in den Händen halten durfte, aber schon bei der haptischen Begrüßung des 2020er Werks sieht und spürt man, dass man etwas ganz Besonderes berührt. Die 14-Song-Kollektion kommt in der CD-Fassung als hochformatiges Buch daher, und bietet im fest gebundenen Karton-Umschlag neben dem Tonträger noch ein mit Songtexten und allerhand Bildmaterial gefülltes 26-Seitenbuch. Kaum aber beginnt man den raumgreifend epischen Weisen zu lauschen, vergisst man selbst die kostbarste Verpackung, derart opulent reicht diese Fürstin der beeindruckend beweglichen Melodien, der intervallübergreifenden Gesangsführung dar, taucht ihre unvergessen kraftvolle Stimme in ein von akustischem Instrumentarium und kompletten Symphonieorchester reichhaltig und mit herzhaftem Hang zum gefühlvollen Drama gefüllten Klangraum, dessen unendliche Weiten von längst vergessenen Zeiten künden, als die gehobene Art-/Baroque-Pop-Kunst noch von Streichern und Bläsern getragen und geprägt wurde. Die Liebe zur großen Geste, zum unverhohlen romantischen Schwelgen, zur nach Bühnenaufführung gierender Liedkunst rückt sie dabei deutlich in greifbare Nähe zu Vorbildern von David Bowie und Scott Walker, mitunter glaubt man auch, die Hymnen eines Pete Townshend in der akustisch betonten Orchesterfassung zu erleben, aber nicht nur die kleinen, solistisch zur Gitarre gebotenen Balladen-Ruheinseln zeigen deutlich, dass wir hier die wahre Maria erleben. Faszinierend auch, dass diese Meisterin der melancholisch-berührenden Melodien zudem selbst für die anspruchsvollen Orchesterarrangements verantwortlich zeichnet, welche dem ebenso ehrlichen wie natürlichen Weisen-Reigen eine Größe, Tiefe und Weite verleihen, die bleibend beeindruckt. Ein rundum reifes Macht- und Meisterwerk einer großartigen Künstlerin.
(cpa, Glitterhouse)