"Warum ein Album auf diese Weise veröffentlichen und warum umsonst? Nun, der wichtigste Grund, und ich bin nicht sicher, ob wir überhaupt noch andere brauchen, ist, dass es sich wie ein großer Spaß anfühlte. Was macht mehr Spaß als eine Überraschung?", schrieb Wilco-Sänger und -Songwriter Jeff Tweedy in der Nacht zu Freitag auf Facebook und Twitter an die Fans der amerikanischen Rockband. Die hatten gerade festgestellt, dass die Gruppe nach knapp vier Jahren ein neues Album veröffentlicht hatte. Über ihre bandeigene Website. Gratis gegen Registrierung per Mail-Adresse.
Sind die nicht ganz bei Trost? Die Pop-Welt diskutiert mit steigender Nervosität darüber, wie in Zeiten von Streamingdiensten, die Künstlern nur Minimal-Erlöse auszahlen, mit Musik überhaupt noch Geld zu verdienen ist. Und Wilco, die Speerspitze des Alternative- und Country-Rock, verschenken einfach so ein ganzes Album mit elf neuen Songs?
Sieht aus wie Wahnsinn, ist aber keiner. Vielleicht wird sich das Fan-Geschenk gleich mehrfach für Tweedys Band auszahlen, denn "Star Wars", so der Titel des Albums, wird nur für begrenzte Zeit gratis verfügbar sein, heißt es auf wilcoworld.net. Die Platte, die mit "Star Wars" im Titel und einer verschlagen guckenden Katze als Covermotiv mit die zwei populären Internet-Themen Sci-Fi-Geekiness und Cat-Content ironisch verquickt, wird irgendwann Geld kosten. Spätestens, wenn es auf Vinyl-Schallplatte veröffentlicht wird, ein Format, das sich vor allem unter Rockfans seit Jahren erneut wachsender Beliebtheit erfreut.
Erste Fans üben sich bereits in der Art von Solidarität, die sich für Wilco durchaus monetarisieren könnte. So schrieb eine Facebook-Userin unter Tweedys Posting: "So, yeah, it's free, but I want to buy it, because I strongly believe in supporting my favorite artists. You are of that ilk. A CD and/or vinyl coming out soon for purchase?? Ps, you are the best band in the US, ever."
Wie solche Verschenkaktionen richtig schiefgehen können, zeigte die irische Rockband U2 im Herbst letzten Jahres, als sie ihr neues Album in Kooperation mit Apple jedem iTunes-Nutzer in den Download-Ordner spielten. Das fanden selbst eingeschworene Fans zu aufdringlich. Am Ende mussten sich Bono und Co. für die usurpatorische Maßnahme und das Geschenk, das so niemand wollte, entschuldigen.
Andere Bands, darunter Radiohead, versuchten den Selbstvertrieb über die eigene Website bereits mit dem Zahl-so-viel-du-willst-Prinzip, konnten aber selbst bei größter Popularität und Nachfrage keine Erlöse erzielen, die mit klassischen Verkäufen konkurrieren könnten.
Die Über-Nacht-Methode indes, neue Alben also nicht wochenlang via Plattenlabel und PR anzukündigen, sondern einfach von einem Tag auf den anderen zu "droppen", wie es im Fachjargon heißt, haben sich Wilco von R&B- und HipHop-Acts wie Beyoncé, Drake oder Kendrick Lamar abgeguckt. Für deren Überraschungsalben musste man jedoch beim iTunes-Store oder anderen digitalen Verkaufsplattformen Geld bezahlen.
Wilcos Aktion, siehe Cover und Titel, scheint tatsächlich eher ein launiges Sommer-Goodie zu sein. Lockerer als zuletzt auf dem altersgesetzten "The Whole Love" (2011) macht sich die Band auch wieder musikalisch. Vielleicht tat Tweedy die Zusammenarbeit mit seinem Sohn auf dem gemeinsamen Album "Sukierae" gut, bei dem sich die beiden auch mit der Krebserkrankung von Mutter und Ehefrau Susan Miller auseinandersetzten.
Tweedy zeigt sich auf "Star Wars" jetzt in jedem Fall in Bestform und textlich in Aufbruchstimmung: "EKG" eröffnet die Platte mit schräger, chaotischer Gitarren-Dissonanz und setzt den unruhigen Ton des gesamten Albums, der in ein lautes Uptempo-Triple aus "More…", "Random Name Generator" und "The Joke Explained" übergeht. "You Satellite" erinnert an späte Velvet Underground, "Pickled Ginger" wird kurz in Glamrock gedippt, "Cold Slope" und "King of You" liebäugeln mit den Kinks - die gleichen Zutaten wie immer, sorgsam von Fett und Kraut befreit.
Ein paar wohltemperierte Balladen und Schunkler ("Taste the Ceiling", "Magnetized", "Where Do I Begin"), gibt es auch, sie treten aber zugunsten einer hemdsärmeligen Schroffheit in den Hintergrund, die Wilco sehr gut steht. Der bisher etwas maue Pop-Sommer zeigt doch noch Zähne.
(www.spiegel.de)