Archiveintrag #7319 (440854) | |||||||||||||||||||
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"We Were Wrong, Right?" ist das dritte Album des schwedischen Sextetts aus Malmö. Und es ist mehr als lediglich die Kombination aus schepperndem Indie-Rock, delikater und intimer Lo-Fi-Anmutung und dem tanzbaren Teil des Folk-Rocks. Ihre Songs und Melodien, die gleichzeitig Atem nehmen, Freude spenden und melancholische Grandezza verströmen, haben eine Golden Kanine-typische Aura. Man mag dazu weinen. Oder tanzen. Oder kämpfen.
Sie starteten einst als eine laute, gitarrenbasierte Indie-Rock-Band. Ihre Musik hat sich seit ihrem ersten Album aus dem Jahr 2009 organisch verändert, ging und geht voran, experimentiert mit weitreichendem Instrumentarium und besinnt sich doch immer auf den Kern. Sie lassen stets Melancholie und Lebensfreude auf das Interessanteste kollidieren. Auf "We Were Wrong, Right?" rühren sie liedgesteuerten, opulenten Indie-Pop an, der indes stets nach vorne drängt, immer nervös aus der Spur zu springen bereit ist. Viele Instrumente, feine Songs - sich darin suhlend zwei angenehm brüchige Stimmen. Mitreißend und taumelnd, tief und betörend, ist ihr Songwriting noch gewachsen. Nenn sie eine laute, intime Band. Oder nenn sie eine intime, laute Band.
Die Aufnahmen für "We Were Wrong, Right?" zogen sich über ein ganzes Jahr hin. Das Resultat ist... wunderschön. Die Welt steht Golden Kanine offen.
Golden Kanine vermögen es wie kaum eine andere Band, den Hörer, während sie ihn mit jubilierendem Crescendo mitnehmen, gleichzeitig positiv zu verwirren. In den mitreißendsten Passagen verstecken sich gerne die finstersten Botschaften, da droht Unglück und Seelenpein - und plötzlich, wenn der musikalische Aplomb in weniger nachdrückliche, ruhigere Gefilde übergeht, so dass man textlich auf jedwedes Tränental vorbereitet ist, plötzlich kommen da fast fröhliche Silben aus ihren Mündern und Kehlen. Man fiebert mit ihnen, man folgt ihren Schlenkern zwischen lauthalsiger Dynamik und verzweifelter Nabelschau. Das Resultat ist eine einzige, mitreißende Versuchung. "We were wrong, right?" fasst in elf Titeln zusammen, was man sich von Musik nur wünschen kann. Ein bisschen Eskapismus sei erlaubt, aber gerne eingeholt von brodelnder Tiefe. Mit Bläsern und Banjo, mit Mandoline, Tasten und Percussion verfeinert, ist ihr ehemals purer Indie-Folk-Rock nun derart umfassend, dass die Programmankündigungen ihrer Auftritte sie teils etwas hilflos als "Folkiger Post-Rock" (nunja...) kategorisieren. Was nicht weiter stört, denn sie gingen und gehen ihren Weg: Unzählige Clubs und viele Festivals haben sie beehrt (darunter Haldern-Pop, Orange Blossom Special, Hurricane, Southside, Weinturm, Fusion), wurden einem größeren Publikum im Vorprogramm der Tour ihrer Landsleute Mando Diao bekannt, der WDR lud sie zu ihrer legendären Fernseh-Sendereihe "Rockpalast" ein. Personelle Wechsel folgten, weitere Tourneen schlossen sich an, in deren Verlauf neue Songs dem Live-Test unterzogen werden. "No Fun" oder "Oh They Caught You, Too" werden, obwohl den Fans zuvor unbekannt, im Nu zu Live-Favoriten.
Eins vorweg: Zimmertemperatur ist okay. Sogar sehr okay, im Verhältnis zu klirrender Kälte. Ein Bier von 22 Grad bei 40 Grad in der Sonne ist fast schon gigantisch. Aber so ganz ohne Relativierungen ist Zimmertemperatur eben nur lauwarm. So wie die neue Golden Kanine LP.
Eine Stimme a la Chris Martin in mitten eines Arcade Fire-Instrumenteninfernos – das sind Golden Kanine live. Inbrünstig befeuerten sie im letzten Herbst ihr Publikum mit ihren schwermütig aber tanzbaren Indierock-/Folksongs von den letzten beiden Alben. Neben schwitzenden Achseln durften die Besuchenden auch zwei teasende Ohrwürmer vom damals noch unveröffentlichten Neuling „We Were Wrong, Right?“ mit nach Hause nehmen. Besagte Songs „No Fun“ und „Oh they cought you too“ überzeugen mit Dynamik, Gitarrenpräsenz und Singalongtauglichen Passagen, die sich hinterhältig ins Trommelfell brennen. Der Song „Plans“ fesselt in der Mitte des Langspielers mit einer verspielten Leichtigkeit und sanftem Gesang. Das war‘s dann aber auch schon.
„We Were Wrong, Right?“ nimmt uns mit in düstere Gefühlswälder, in denen Mord und Totschlag wüten („Steve I’m sorry that we killed you, I really really am.“) und die Gespenster Frustration und Resignation toben („take whatever and leave me nothing ‘cause I need nothing“ in „I know I had a heart once“). Die vielversprechende Illusion von Glück und einem einfachen Leben wird zerfetzt, um der Realität trüber Alltagsgefechte, bitterer Abrechnungen und Melancholie galore Platz zu machen. Da wird nichts schöngeredet. We call it Weltschmerz. Das Album punktet mit einer herrlichen Instrumentierung, mit Mandoline, Banjo, Bläsern und Streichern. Aber der Leichtsinn und die Euphorie, mit denen Golden Kanine auf den letzten beiden Alben noch glänzten, kommen eindeutig zu kurz. Okay, der Song „Jennifer“ geht einigermaßen voran, „Madeleine“ ist hübsch arrangiert und bietet ein nettes Konzept. Aber zu mächtig schweben der Trübsinn und die Gleichgültigkeit über dem gesamten Album, die alle potentiell reizvollen Ecken und Kanten glatt bügeln. Dazu kommen absolut unspannende Songs, die textlich jede Emocore-Band erblassen lassen und das Endorphinlevel ordentlich drosseln. Ein tolles Album für den geplanten Selbstmord. So gesehen ist das aber nichts, was man einem großen Live-Publikum zumuten sollte, liebe Schweden!
Auch wenn sie das traurig dahinplätschernde Album verpatzt haben, ist die kommende Tour sehr zu empfehlen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird sie eher der Herrlichkeit eines 20-Grad-Biers in der Wüste entsprechen - Golden Kanine sind eben eher eine Liveband. Was „We Were Wrong, Right?“ angeht, bleibt zu sagen, dass sich das zauberhaft gestaltete Cover in jeder Plattensammlung gut macht. Und nach dem dreißigsten Hördurchgang findet man mit Durchhaltevermögen und gutem Willen doch noch seine Freude an dem Album. Neben den drei Krachersongs, den drei okayen Songs, entdeckt man noch ein paar gut versteckte Reize in den anderen Liedern, sofern man sich nicht von den ersten Hördurchgängen abschrecken lässt. Insgesamt nett, aber nichts Außergewöhnliches. Der Golden Kanine’schen Lethargie erlegen, könnte man sagen „Die besten Songs sind halt schon geschrieben“ . Klar, ein gutes Folkalbum muss mehr leisten als Bierkrug-Pub-Lagerfeuer-Stimmung und Schwärmerei. Mehr als trauriges Dahingeplätscher sollte aber schon drin sein.
(Julia Kindel, motor.de)
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Erstellt: 07.2003 | Letzte Aktualisierung: 19.09.2021 17:44 | 74097 Besucher seit dem 12.09.2021 |
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