Vom ersten Ton an überwältigende Rückkehr dieses Mittelalter-Folk-Urgesteins, 40 Jahre nach der Gründung und fast 15 Jahre nach dem letzten Studioalbum-Lebenszeichen. Aber die lange Zeit des Reifens, nicht zuletzt auch die 40-jährige Erfahrung, des aktiven Am-Musikgeschehen-Teilhabens haben dem einstündigen 15-Song-Epos spür- und hörbar gut getan, entwickelt sich der Herzsprung doch zu einer Stil- und Klangfülle, die man auch bei den schon früher bemerkenswerten stiloffenen Musikern bislang noch nicht erlebt hatte. Mit einigem konventionellen und umso mehr exotischem Instrumentarium (Tritonshörner, Kinsho Koto, Dutar, Clavioline, Monochord, Launedda, Nyckelharpa, Singende Säge, Waldoline) erschafft die Musikanten- und Sängerschar eine überschwänglich Melodie-reiche, Welten und Zeiten verbindende Musik-Vielfalt, die mal zum Tanz, mal zum Lauschen, mal zum Tief-Sinnen lädt. Einflüsse aus Mittelalter, Barock, Jazz, dem Balkan und Asien, irischem Folk und handfestem Rock werden verarbeitet und vereinnahmt und zu einem immer wieder überraschenden, sich verändernden und doch sich treu bleibenden Stil-Fluß vereint. Gemeinsam mit alten Recken und neuen Namen schuf Frank Wulff Raven der Legende Ougenweide ein lebendiges Denkmal, und fand zudem in Sabine Maria Reiß eine Stimme, die Minnes Gesang fast vergessen lässt. Musik und Worte aus vielen Jahrhunderten, im hier und jetzt auf den zeitlosen Punkt gebracht.
(cpa, Glitterhouse)
Vor einigen Jahren entdeckte ich bei einem Konzert (wohl von Laurie Anderson) Frank Wulff unter den Begleitmusikern und sprach ihn in der Pause an auf die großen Ougenweide-Zeiten der späten 70er, die wir geteilt hatten - er auf der Bühne, ich anonym davor. Er war traurig, dass der Backkatalog in den Archiven verdämmerte, trotz des Erfolges aktueller Mittelalterbands, denen Ougenweide jede denkbare Vorlage geliefert hatten. Nach 15 Jahren Pause und neun Jahren Arbeit erscheint nun ein neues Ougenweide-Album, Frank Wulff hatte dem Termin entgegengefiebert - und erlebt nun die Veröffentlichung nicht mehr. Am 19. März starb er, mit 57, und das melancholische Werk wird zum Erbe des grandiosen Multiinstrumentalisten. Es vereint alle Stärken der Folkfusionisten: die instrumentale Exotik (was ist eine Nyckelharpa???); das Verschmelzen von Gestern und Heute; die tiefe Verwurzelung in der Folktradition, die von Tümelei so weit entfernt ist wie Woody Guthrie von Rednecks - und natürlich die pure Freude an Klängen, Melodien und Ensemblespiel. Die hatte das Hamburger Virtuosenensemble selbst in den 80ern nicht verloren, als es sich zu sehr an den Zeitgeist schmiegte und so an Bedeutung verlor. "Herzsprung" ist ein großartiges Vermächtnis, das sich mit Verlust und Vergänglichkeit beschäftigt und dabei immer den richtigen Ton trifft. Vielleicht entdeckt ja jetzt jemand den Archivschatz der alten Ougenweide-Alben und remastert sie anständig. Man wäre es dem großen Frank Wulff schuldig.
(mw, kulturnews.de)
Das Ougenweide-Jubiläumsjahr geht gut weiter! Nach der Wiederbegegnung mit Minne Graw gibt es nun also das lang erwartete Ougenweide-Studioalbum, das erste nach eineinhalb Jahrzehnten! Im Gegensatz zu "Sol", das in synthetischen Klängen geradezu badete, hat man sich bei "Herzsprung" Natur pur verordnet. Zum Klingen kommen Instrumente, die die Gebrüder Wulff aus aller Herren Länder nach Hamburg ins heimische O-Ton-Studio gebracht haben. So erklingen in trauter Eintracht Tritonshörner, Launedda, Duar, Koto, Monochord und manch andere exotische (oder historische) Köstlichkeit. Ougenweide gelingt es, aus einer deutlich gereiften Perspektive an die Siebziger anzuknüpfen. Mechthild von Magedeburgs "Dy minne", die brillante Merseburger Zauberspruch-Vertonung "Phol ende Uuodan" und "Der welsche Tanz" klingen ganz wie in den besten Tagen. Allerdings ist an die Stelle der jugendlichen Unbefangenheit von einst die Klangsensibilität eines an Musik und Erfahrung reichen Lebens getreten! Die Arrangements sind über Jahre gewachsen und wurden mit Liebe zum kleinsten Detail ausgearbeitet. Neben dem von Olaf Casalich beseelt und rhythmisch zupackend gesungenen Pferdezauber "Phol ende Uuodan", über dem ein herrlicher fünfminütiger Spannungsbogen liegt, gibt es ein weiteres Meisterstück: Sabine Maria Reiß interpretiert geradezu entrückt das tieftraurige "Ich sachs eins mals", in dem sich die Liebessehnsucht des Glogauer Liederbuches mit den Schmerzen aus Blues und Klezmer verbinden. Die Band, die Vorbild für die gesamte Mittelaltermusikszene ist, beschließt ihr Album augenzwinkernd mit einem einminütigen Epilog vom Kaliber "Merseburger Spieluhr". Ein reifes Werk von abgeklärten Musikern, die wissen, worauf es im Leben ankommt - vergleichbar nur noch mit den aktuellen Produktionen von Sting oder Peter Gabriel!
(lj, www.minnesang.com)<(p>