Der Streit unter Traffic-Fans ist alt: Ist das eher Song-orientierte
Debüt Mr. Fantasy attraktiver oder das Zweitwerk Traffic, bei dem
sich die vier Akteure an der etwas längeren Stil-Leine austoben,
sprich stilistisch und solistisch etliche paar Takte freier agieren? Die
meisten tendieren zu Traffic. (Fast) alle können sich indes darauf
einigen, dass "John Barleycorn Must Die" ein wirklich großer
Wurf ist. Stevie Winwoods Zwischenspiel mit Blind Faith war - auch
aufgrund des enormen Erfolgsdrucks auf diese "Supergroup" mit
Eric Clapton, Ginger Baker (beide bei Cream ausgestiegen) und Rick Grech
(Ex-Family) - in die Binsen gegangen, als er 1970 erst mal eine
Soloplatte folgen lassen wollte. Doch weil er dazu die Traffic-Musos Chris
Wood und Jim Capaldi ins Studio bat, wurde trotz Abwesenheit des lang
zuvor ausgestiegenen Dave Mason eine echte Traffic-Platte draus.Und was
für eine!
Herzstück ist das auf einem Traditional basierende akustische Titelstück,
bei dem Woods Flöte Winwoods fast fragilen Gesang und die Gitarre
regelrecht umflirrt und umgarnt. Daneben aber kommen die klassischen Traffic-Züge
voll zum Tragen: Die Wurzeln im Blues und Soul, voll-sattes Rock-Feeling
im Bauch und der Geist frei. So tänzelt der Opener "Glad"
rockig-jazzig und instrumental daher, nimmt "Empty Pages" verhalten
und dennoch dynamisch Fahrt auf und verweist auf Winwoods späteren
Solo-Stil, suhlt sich "Every Mother's Son" im rockigen Blues-Metier
à la Blind Faith und kann mit einem flexibel improvisierten Middle-Part
aufwarten. Vier Bonustracks, bislang unveröffentlicht und zwei davon
live ("Who Knows What Tomorrow May Bring" und "Glad"),
sowie der dynamischere Sound der Island-Remasters-Serie und ein aufschlussreiches
Booklet adeln John Barleycorn Must Die vollends zum heißen Traffic-Tip!
Claus Böhm, amazon.de
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Vier Musiker ließen 1968 nicht nur die britische Rockwelt aufhorchen:
Wunderknabe Steve Winwood, bei der Spencer Davis Group berühmt geworden,
brachte mit Saxophonist und Flötist Chris Wood, dem Drummer Jim Capaldi
und dem auf asiatisches Vor-Woodstock-Saitenspiel spezialisierten Dave
Mason eine völlig neue Rock-Variante zum Klingen. Aus Winwoods schwarzem,
kehligem Blues- und Soulgesang, Anklängen von Jazzrock und psychedelisch
schillernden Farbtupfern formte sich der Sound von Traffic. Daß
die Band, die sich 1967 in Klausur auf einem englischen Landhaus konstituierte,
trotz interner Spannungen und Personalfluktuation an der Festtafel der
Rock-Honoratioren aus den späten 60er Jahren einen Ehrenplatz einnimmt,
verdankt sie auch ihrer Fähigkeit, blendende Songs zu schreiben:
Traffic- Titel wie "Paper Sun", "Hole In My Shoe"
oder "Mr. Fantasy" haben bis heute nichts von ihrer Anziehungskraft
verloren. Vier CDs legen nun end- lich den Grundstein dafür, das
prachtvolle Plattenvermächtnis von Traffic auch den Laser-Fans nahezubringen.
Eindeutig überlegene Abbildung der Stimmen und akustischen Instrumentalparts
sowie schärfere Konturen im Baß sprechen für Compact Discs
von "Mr. Fantasy" (Island/Ariola 258 243, 1968, AAD, 34:39,
I:8-10, K:5, R:9) und "Traffic" (Island/Ariola 258 820, 1968,
AAD, 40:41, I:7-9, K:6, R:8) - wenngleich gerade beim ersteren Album der
fabelhafte CD-Umschnitt nicht über den Heimwerker-Standard des Mutterbandes
hinwegtäuschen kann. Ihren unerwarteten künstlerischen und kommerziellen
Höhepunkt erlebten Traffic 1970 mit dem ursprünglich als Winwood-Soloalbum
geplanten "John Barleycorn Must Die" (Island/Ariola 258 130,
1970, AAD, 34:34, I:10, K:6, R:10). Erfreulich, daß zwischen dem
jazzigen Einstieg mit "Glad" und Winwoods Fast-Alleingang "Every
Mother's Son" das Titelstück - eine altenglische Folkballade
aus dem 15. Jahrhun- dert - trotz hohem Rauschpegel klanglich gehörig
zulegen kann. Solche Qualitäten kann man dem nächsten Traffic-Opus
nicht zusprechen: "The Low Spark Of High-Heeled Boys" (Island/Ariola
258 177, 1971, AAD, 39:55, I:7- 9, K:6, R:8) klingt in seiner mitten-
und baßlastigen Abmischung beschei- dener als von der LP und bleibt
so weit hinter dem Machbaren zurück - was besonders bei dem reizvoll
instrumentierten Titelstück schade ist.
© Stereoplay
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